Jahreslosung 2015

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob (Röm. 15, 7)

Wie ist es eigentlich zu erklären, dass die Gemeinde der Christen in den ersten drei Jahrhundert so schnell und rasant gewachsen ist und sich im ganzen römischen Reich verbreitet hat – trotz vieler Anfeindungen und lebensbedrohlicher Verfolgungen? In manchen Gesprächsrunden ist mir in der letzten Zeit diese Frage gestellt worden. Eine letzte und abschließende Erklärung dafür gibt es nicht. Vieles bleibt einfach ein Wunder. Oft wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass es gerade die Leidensbereitschaft der Märtyrerinnen und Märtyrer war, die missionarische Kraft ausstrahlte. Das ist gewiss richtig. Der Verfasser unserer Jahreslosung, der Apostel Paulus ist am Ende seines Lebens in Rom selbst zu so einem Glaubenszeugen geworden.

Aber nicht nur die Leidensbereitschaft, sondern zugleich auch die Lebensdienlichkeit, die uns im Glauben geschenkt wird, mag das Wachsen der Urgemeinde erklären. Sie kommt in unserer Jahreslosung sehr klar zum Ausdruck – als Ermahnung und gleichzeitig als Vergewisserung. Es dient dem Leben und trägt zu seinem Gelingen und zu seiner Erfüllung bei, wenn wir einander annehmen, so wie wir sind, mit all unseren Fehlern und Schwächen, mit unseren Irrtümern und Zweifeln. Denn wir dürfen darauf vertrauen, dass genau so Christus uns angenommen hat. Wie kann es da noch zänkische Worte, Rechthaberei oder Streit unter uns geben? Ich kann gelassen und mit langem Atem mit mir selber umgehen und ebenso mit meinen Mitmenschen, in der Familie, der Nachbarschaft und der Gemeinde. Dieses Lebensmodell hatte in der Anfangszeit der Kirche offenbar eine sehr große Überzeugungskraft – ich bin sicher, dass es in unserer Zeit nicht anders ist!

Die Frage nach dem Rätsel des Wachstums der Kirche in der Frühzeit ist oft verbunden mit der anderen, unausgesprochenen Frage: warum müssen wir heute kummervoll erleben, dass unsere Gemeinde immer kleiner wird? Auch hier gibt es keine letzte und abschließende Erklärung. Gott weiß, auf welchen Weg er seine Kirche schickt. Aber gerade in unserer konfliktreichen und bedrohten Welt sollten wir Christen unverdrossen die lebensdienliche Wahrheit bezeugen und vorleben – einander annehmen, so wie wir von Christus angenommen sind. Das heißt nicht, alles hinnehmen. Gerade im Einander-Annehmen stecken auch viel Leidensbereitschaft und Widerstandskraft! Bewahrt werden wir aber vor Engstirnigkeit und Überheblichkeit – in welche Abgründe die führen, zeigen uns die erschreckenden Nachrichten aus der Welt des Ungeistes von Fanatismus und Fundamentalismus.

Zwölf unbekannte Monate liegen vor uns, unbeschriebene Seiten des Kalenders. Als „Jahr des Herrn“ haben unsere Altvorderen die Jahre gezählt, wenn sie in die Kalender schrieben „Anno domini …“ 2015 wird ein für uns ein „Jahr des Herrn“ werden, wenn wir die Aufforderung unserer biblischen Jahreslosung befolgen und in ihrer tröstlichen Gewissheit unseren Weg durch die Zeit gehen. Gott segne und behüte uns alle auf diesem Weg!

Pastor Christoph Ehricht, Greifswald / Kiel